Bindegrün:

Eine willkommene Einnahmequelle

Die "gute alte Zeit" war für viele Menschen im Fricktal keineswegs so heil und problemlos, wie es aus heutiger Sicht vielleicht scheinen mag. Viele Familien lebten am Rande der Armutsgrenze und die Leute mussten einige Fantasie aufbringen, um neben dem mageren Einkommen aus dem kleinen Bauernbetrieb noch etwas zusätzliches Geld zu verdienen. 

Eine der Möglichkeiten war die Posamenterie (Bandweberei). Wie im benachbarten Baselbiet gab es auch in Wittnau viele Familien, die für die Heimarbeit einen Bandwebstuhl in ihrer Stube hatten. 

Eine andere Verdienstmöglichkeit war der Versand von Bindegrün. In der näheren und weiteren Umgebung wurden Waldpflanzen, vor allem Efeu, gesammelt, zuhause in Schachteln oder Körbe verpackt und ins Ausland versandt. 

Zeugen dieses internationalen Handels sind die hier abgebildeten Dokumente: eine Offerte von 1904 für Efeublätter, Schneeglöckchen und andere Pflanzen, ein Insertions-Auftrag in einer Berliner Gärtner-Fachzeitung, die Antwort eines potenziellen Kunden in München, eine Bestellung aus Dortmund, eine Postkarte eines Wittnauers an einen Kunden in Schweden und vier fast identische Nachnahme-Dokumente von Efeu-Lieferungen nach Stockholm im Jahr 1923.


Schneeglöcklein und Silberdisteln

Mit dieser Postkarte bot Gottfried Liechti 1904 einer Gärtnerei in Bremen verschiedene Wildpflanzen an.

Obwohl es auch in Wittnau eine Poststelle gab, wurde die Karte in Frick abgeschickt.  

Grund dafür war möglicherweise die Geheimniskrämerei, die um die Adressen potenzieller Kundschaft gemacht wurde. 

Der Adressen-Klau im Pflanzenhandel soll soweit gegangen sein, dass es Wittnauer gab, die kurz vor der Abfahrt der Postwagen flink auf die Gepäckablage kletterten, um einen Blick auf die dort liegenden Körbe und Schachteln zu erhaschen und die Empfängeradressen auszuspionieren. 

(Mündliche Mitteilung um 1982 von E. Sch.-H., Jahrgang 1900)

 

(Sammlung chb)
(Sammlung chb)

 

                                Wittnau (Schweiz) 29. Jan. 04

 

Hochgeehrter Herr E. Kiep,

                                                 Bremen.

 

Hiermit erlaube ich mir Sie höfl. anzu-

fragen, ob Sie nicht geneigt wären, von mir 

Epheublätter sehr schöne & zu 20 Stück gebündelt 

per 1000 Stück franco für Mk. 1.50 Pfg. zu beziehen. In etwa 3 Wochen 

könnte ich Ihnen sehr schöne Schneeglöcklein liefern 

pro 1000 Stück franco für Mk. 4.50 Pfg.  Könnte Ihnen 

auch noch 1000 Stück Weiherrohrpüschel für Mk. 6.– 

& im Herbst & Winter sehr schöne be- & unbeschneidtene 

Silber- & Golddisteln etc. liefern. 

Bitte gefl. um ungehenden Bericht.           Achtungsvollst

                                                                  Gottfried Liechte

 


Gottfried Herzog gab in der "Verbandszeitung Deutscher Blumengeschäfts-Inhaber" ein Inserat auf  (Original bei Beat Walde, Wittnau)
Gottfried Herzog gab in der "Verbandszeitung Deutscher Blumengeschäfts-Inhaber" ein Inserat auf (Original bei Beat Walde, Wittnau)
So sah das Inserat aus.
So sah das Inserat aus.

Postkarte von Arnold Kaufmann in München, königlich bayrischer Hoflieferant
Postkarte von Arnold Kaufmann in München, königlich bayrischer Hoflieferant
Leider nein!
Leider nein!

 

Herrn Gottfried Herzog, Wittnau.

 

                          In Erhalt Ihres Briefes vom

28. a. teile Ihnen mit, daß ich für Wald=

grün keinen Bedarf habe da ich sehr

wenig davon verarbeite. Muß daher Ihr

Offert bestens dankend ablehnen.  

 

              Hochachtend.

 

München, d. 29. Okt. 1907       Ihr A. Kaufmann

 

 


Bitte nur 14-täglich!

Ein Schreiben des Blumenbinders Arthur Weyer in Berlin

an Gottfried Hertzog, Efeu-Versand, Wittnau im Aargau,

mit Datum 10. Oktober 1913:

 

«Sie schicken mir in dieser

Woche schon wieder eine Sen-

dung Efeublätter, trotzdem

ich in voriger Woche erst von

Ihnen eine solche erhielt.

Ich bitte, mir bis auf weiteres

nur alle 14 Tage eine Sendung

zu schicken, bis ich Ihnen andere

Nachricht gebe.

                      Hochachtungsvoll

                         Arthur Weyer»

 

 


Nachnahme-Karte aus dem Jahr 1923: Hermann Speiser  sandte einen Korb Efeublätter via Berlin nach Stockholm. Der Kunde bezahlte dafür Fr. 12.–  .
Nachnahme-Karte aus dem Jahr 1923: Hermann Speiser sandte einen Korb Efeublätter via Berlin nach Stockholm. Der Kunde bezahlte dafür Fr. 12.– .
Nur ein paar Tage später. Ein weiterer Korb Efeublätter für Stockholm, diesmal abgeschickt von Gottfried Liechti. Der Preis war der selbe: Fr. 12.–
Nur ein paar Tage später. Ein weiterer Korb Efeublätter für Stockholm, diesmal abgeschickt von Gottfried Liechti. Der Preis war der selbe: Fr. 12.–
... und Ende Monat gleich noch einmal: Efeublätter für Stockholm, diesmal wieder von Hermann Speiser.
... und Ende Monat gleich noch einmal: Efeublätter für Stockholm, diesmal wieder von Hermann Speiser.
... und exakt am gleichen Tag: Noch einmal Efeublätter nach Stockholm von Gottfried Liechti.
... und exakt am gleichen Tag: Noch einmal Efeublätter nach Stockholm von Gottfried Liechti.

Auch während des Erste Weltkriegs konnten Efeuranken nach Deutschland geliefet werden. (Bestellung 25. April 1915, Conrad Wachtmann, Dortmund)
Auch während des Erste Weltkriegs konnten Efeuranken nach Deutschland geliefet werden. (Bestellung 25. April 1915, Conrad Wachtmann, Dortmund)
Schicken Sie einen Korb Efeuranken sofort ab.
Schicken Sie einen Korb Efeuranken sofort ab.

abgestempelt in Wittnau am 16. November 1927
abgestempelt in Wittnau am 16. November 1927
Postkarte von Gottfried Liechti an einen Kunden in Stockholm   (Archiv chb)
Postkarte von Gottfried Liechti an einen Kunden in Stockholm (Archiv chb)

 

Firma A.-B. Nordiska Frühandeln Stockholm

 

         Besitze dankend Ihr wertes [Schreiben] v. 11. dies.

Es wundert mich sehr, warum Sie jetzt die

Sendung abstellen, da Sie doch andere Jahre um

diese Zeit gerade am meisten Efeu gebrauchten?

Bitte um Ihre werten Nachrichten. Hoffe Ihnen auch

bald wieder Sendung machen zu können, da es bald bunte 

Ware gibt. Ihrer Rückäussung [?] bald entgegen sehend, zeichnet

                                                                              Hochachtungsvoll

Wittnau, 16. Nov. 1927.                                         Gottfried Liechti


Noch im Telefonbuch der Jahre 1949 / 1950 sind zwei Bindegrün-Lieferanten aufgeführt:

 

«Rüetschti A. & Sohn: Gärtnerische Waldpflanzen u. Bindegrünversand»         7  12  03

und

«Walde Emil (-Schmid): Gärtnerische Waldpflanzen u. Bindegrünvers.»            7  12  20

 

 


Ein Foto des Bindegrün-Sammlers Johann Liechti finden Sie hier.


Weiter Informationen zu diesem Thema sind in der Jahresschrift «Adlerauge» 1996 nachzulesen.

(S.11: Heidi Tschudi-Burkart: Bindegrün-Versand aus Wittnau)