Armenwesen

Zu den Pflichten einer jeden Gemeinde gehörte es, für seine Ortsbürger zu sorgen, wenn diese verarmten und nicht mehr selbst für ihr Auskommen sorgen konnten.  

Die Gemeinden - meist selbst knapp bei Kasse - versuchten manchmal sich um die Verpflichtung zu drücken. Immer wieder musste sich der Gemeinderat in seinen Geschäften mit traurigen Geschichten mittelloser und bedürftiger Wittnauer Bürger befassen. Die Akten der Armenpflege nehmen denn auch im Gemeindearchiv einigen Raum ein. 

All die Schicksale und Ungerechtigkeiten zu dokumentieren, die die Unterschicht erdulden musste, ist kaum möglich. Zu gross ist ihre Anzahl. 

Trotzdem möchte ich ein paar einzelne Dokumente zeigen, welche die Probleme der Menschen in ihrer Armut beschäftigten. 

 


Armutszeugnis

Heute wird der Begriff nur noch im übertragenen Sinn verwendet. Wenn jemandem ein Armutszeugnis ausgestellt wird, so zweifeln wir an seiner Urteilskraft oder Moral.

Ein Zeugnis aus dem Jahr 1854, das die materielle Armut von Augustin Lichte (Liechti) bezeugt, ist unten zu sehen. Der Wittnauer Gemeindeammann bestätigte der Amtskanzlei Laufenburg, dass Liechti ausserstande sei, die Gefangenschaftskosten von Fr. 1.55  zu berappen.

 

[Transkription des Brieftextes:]

 

         Armuthszeugniß!

Das Augustin Lichte Arm, und ohne alles

Vermögen sei, und deßwegen die von der Tit.

Amtskanzlei Laufenburg geforderten Fr. 1.55

Gefangenschaftskosten nicht bezahlen könne.

 

        Bescheinigt Wittnau d[en] 9ten Dezbr. 1854

                           Vom Gemeinderath

                           Der Gemeindeammann:

                                      J. Fricker

                           Der Gemeindschreiber:

                                      T. Fricker

 


Arztkosten

Brief von Dr. W. Fischler, Möhlin, an den Gemeinderat Wittnau (29. Dec. 1852)
Brief von Dr. W. Fischler, Möhlin, an den Gemeinderat Wittnau (29. Dec. 1852)
An den "Titulierten Gemeinderath" adressiert, mit 10 Rp. frankiert und in Möhlin und Rheinfelden abgestempelt
An den "Titulierten Gemeinderath" adressiert, mit 10 Rp. frankiert und in Möhlin und Rheinfelden abgestempelt

 

[Transskription des Brieftextes:]

                                                                 Möhlin  29. Dec. 1852.

 

An

den Tit. Gemeinderath in Wittnau.

 

Geehrteste Herren!

Ich zeige Ihnen hiermit an, daß die Frau des 

Jos. Übelmann von dorten [= Wittnau], in hier [= Möhlin] wohnhaft, seit

etwa 14 Tagen an der Gliedersucht heftig erkrankt 

im Bette liegt und ich sie deßhalb ärztlich behandle,

und ihr die nöthigen Arzneien aus meiner Apotheke 

abliefere. Da Übelmann arm, im Concurs ist, an 

ihm also nichts zu suchen wäre, ist die Gemeinde 

Wittnau, wo er gebürtig ist,  verbunden u. verpflichtet, 

die sich ergebenden Arztkosten zu bezahlen. 

Ich werde daher so frei sein, Ihnen s. Zeit 

die Rechnung einzusenden. 

Daß zeigt Ihnen pflichtgemäß an nebst Versicherung 

seiner wahren Achtung der behandelnde Arzt:

 

                                             W. Fischler, Arzt.

 

 


Aus Gemeinderatsprotokollen

Ein Paar Schuhe auf Gemeindekosten:

GR Protokoll Wittnau 28. Mai 1834
GR Protokoll Wittnau 28. Mai 1834

d)  Der Armenpfleger Rütsche wird angewiesen dem 

     Xaver Businger Schuster wegen Ignatz Herzog

     ein barr [Paar] Schuh mit L. [Fr.] 4 zu bezahlen.

 

 

Essen aus der Kronen-Küche für unbeholfene und mittellose Kranke

GR Protokoll Wittnau 3. Jenner 1857
GR Protokoll Wittnau 3. Jenner 1857

136.     Da Magdalena Husner im Armenhause krank liege, so

            wird der Weibel beauftragt, sich von der Krankheit derselben

            zu erkundigen, u. im Falle der Unbeholfenheit ihr einst-

            weilen die Kost bei Hrn. Kronenwirt zu bestellen.

 

Von einem weiteren Armen-Schicksal berichten die Gemeinderatsprotokolle im 

August 1850: 

In Waldenburg (BL) wurde der Wittnauer Hieronimus Fricker wegen Bettelns verhaftet. 

Die Gemeindebehörden liessen ihn in sein Heimatdorf holen und verfrachteten ihn 

kurzerhand nach Philadelphia. Seiner Gattin Anna, geb. Sigrist, wurde erst im Nachhinein 

Bescheid gegeben. 

►  Hier sind die Protokolle zu diesem Fall nachzulesen.


Probleme mit Schulden

1854: Der Geldverleiher M.G. Dreyfuß aus Endingen gibt der Gemeindebehörde seine Forderungen im Geschäft mit dem Schuldner Bernhard Herzog bekannt. 

Brief von M.G. Dreyfuß, Endingen, an den Wittnauer Gemeindeammann.
Brief von M.G. Dreyfuß, Endingen, an den Wittnauer Gemeindeammann.

                                                                      17

                        End[ingen] den 26 März 1854

            Herrn Gemeindaman !

 

Ich habe Ihnen die Anzeige zu machen

daß ich  übersendete Fr. 65 auf Rech =

nung des Bernhard Herzog erhalten [habe].

Den Abzug v. Fr. 15  kann ich nur dulden, wen

dieselbe von Abr[aham] Hug ersetzt werden. Von

Herzog wird nun nur noch verlangt

der Ratazins seit dem 8 Nov. 53 den ich

als Verwalter selbst auf zu beßern

hätte, v.  ausgelegte der Porto will

ich schweigen, obwohl Herzog genug provodirt

aber der Markzins muß mit Fr. 1  Cnt 8 ersezt

werden, vorauf ich dann das Obligo ab =

senden werde, u die Eingabe zurük ziehe.

 

            In Erwartung deßelben zeichnet

                        mit Achtung

 

                        M. G. Dreÿfuß

 


Posamenterkrise ab 1922

Einst war Wittnau stolz darauf, ein Posamenterdorf zu sein. Obgleich die Heimarbeit am Bandwebstuhl eher schlecht als recht bezahlt war, arbeiteten viele Frauen und Männer für die Seidenbandproduktion. In den Wittnauer Stuben klapperten insgesamt rund 130 Webstühle. In manchen Familien wurde gleichzeitig an zwei oder drei Stühlen gewoben. 

Die meisten Wittnauer Posamenter waren - gemeinsam mit solchen aus Wölflinswil, Oberhof und Schupfart - zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Die Wittnauer Posamentergenossenschaft gehörte ihrerseits dem Posamenter-Verband Baselland und Umgebung an. Viel Positives erreichte der Verband, Regelung der Arbeitszeiten, Lohnerhöhungen und Übertragung der Transportkosten (Botenlöhne) an die Seidenfabrikanten. In einem Punkt aber verspekulierte sich der Verband arg: Durch den Betrieb einer verbandseigenen Bandfabrik in Ittigen BL hoffte man Gewinne abschöpfen zu können. Anfänglich schien die Idee der "Eigenproduktion" erfolgreich. Doch aus verschiedenen Gründen scheiterte das Unternehmen. Zu Beginn des Jahres 1922 musste der Konkurs angemeldet werden. Über 470'000 Fr. betrugen die ungedeckten Schulden des Verbandes. Die ins Leben gerufene Liquidationskommission verpflichtete die Genossenschafter zur Zahlung von Beträgen zwischen 50 Fr. und 200 Fr. 

In diesem Zusammenhang sind die unten abgebildeten Schreiben zu verstehen. Der Wittnauer Gemeindeammann Gustav Tschudi und der Gemeindeschreiber Alfred Rüetschi legten je mit einem Schreiben an die Liquidationskommission für einzelne verarmte Posamenter ein gutes Wort ein. 

Bittschreiben von Ammann Gustav Tschudi (Schweiz. Wirschaftsarchiv, Uni Basel; CH SWA HS 206 U)
Bittschreiben von Ammann Gustav Tschudi (Schweiz. Wirschaftsarchiv, Uni Basel; CH SWA HS 206 U)
Bittschreiben von Gemeindeschreiber Alfred Rüetschi (Schweiz. Wirschaftsarchiv, Uni Basel; CH SWA HS 206 U)
Bittschreiben von Gemeindeschreiber Alfred Rüetschi (Schweiz. Wirschaftsarchiv, Uni Basel; CH SWA HS 206 U)

(Mit einem Klick können die Briefe vergrössert dargestellt werden.)


 

 

 

 

In Bearbeitung!

Weitere Dokumente zum grossen Thema "Armut in Wittnau" werden folgen.

Ch. Benz