Dokumente zur Auswanderung im Gemeindearchiv

 

 

Gemeinderatsprotokolle der Gemeinde Wittnau (1850)

Die Gemeinde Wittnau drängte um 1850 verarmte, unterstützungsbedürftige Familien zur Auswanderung nach Amerika. 

Die gesamt Habe wurde versteigert, damit alte Schulden beglichen werden konnten. Für den Fehlbetrag und die Reisekosten kam die Gemeinde auf. 

Mit dieser Politik löste die Gemeinde wahre "Armenschübe" aus. Diese Praxis belastete zwar eine gewisse Zeit lang die Gemeindefinanzen, zahlte sich aber im Endeffekt aus. 

Ob die Auswanderungen nach Amerika für die Betroffenen am Ende ein Segen war oder sie ins endgültige Elend stürzte, können wir heute leider nicht beurteilen.

Protokoll GR Wittnau, Samstag, 15. Juni 1850 (GA Wittnau)
Protokoll GR Wittnau, Samstag, 15. Juni 1850 (GA Wittnau)

5.   Es wird beschloßen die hiesigen Armen für welche die Gemeinde den Hauszins

      zahlen, u. sonst unterstützen muß, auf Morgen vorzuladen, u. von den-

      selben die Erklärung abzuverlangen, ob sie gesonnen wären nach Amerika

      auszuwandern, wenn ihnen die Gemeinde die Transportkosten, u. noch etwas

      Geld in die Hand in Amerika geben würde.  es sollen vorgeladen werden:

      1. Hieronimus Fricker,  2. Joh. Businger jung,  3. Jakob Hochrüter,  4. Leonz Businger,

      5. Kolumban Schmid,  6. Jos. Schmid Becks,  7. Fidel Brogle,  8. Jakob Hochrüter,

      9. Urs Fricker,  10. Anna Maria Hochrüter u. Kinder.

                                    Joh. Rüetschi, Ammann

                                    Blasius Schmid, Gd.rath

                                    Mariz Lichte, Gd.Rath

                                    Xav. Herzog, Gd.Rat

                                    T. Fricker, Gmdschrbr.

 

 

Den verarmten Familien wurde nicht viel Zeit gelassen, sich für den Schritt ins Ungewisse zu entscheiden. 

Protokoll GR Wittnau, Sonntag, 16. Juni 1850 (GA Wittnau)
Protokoll GR Wittnau, Sonntag, 16. Juni 1850 (GA Wittnau)

1.   Es erscheinen vor Gemeinderath diejenigen, welche nach Amerika auswandern wollen,

      u. erklären,  1. Kolumban Schmid Satlers Schneiders; das wenn ihm die Gemeinde für ihm

      u. seine Familie die Transportkosten, u. 100 Fr. in Amerika auf die Hand gebe, er

      auszuwandern willens sei,  2. ebenso Jos. Schmid Becks, Transportkosten u. Fr. 60.–

      alle übrigen verlangen Bedenkzeit bis Samstag.

 

Gerade mal eine Woche Bedenkzeit gewährte man den "Auserkorenen". 

Danach ging alles sehr schnell. Den Auswanderern blieben nicht einmal zwei Monate um Abschied zu nehmen. In dieser Zeit wurde der Hausrat vergantet und Grundstücke verkauft.

Am 12. August 1850 reisten rund zwei Dutzend Wittnauerinnen und Wittnauer  ab, via Basel nach Le Havre, wo sie den Dreimaster "Noemie" bestiegen, der sie über den Atlantik nach Philadelphia brachte.

 


 

«Rechnung über die Auswanderer          

  nach Amerika aus der Gemeinde Wittnau

  pro 1851»

GA Wittnau 564.1:1
GA Wittnau 564.1:1

 

Weil die Auswanderungen der Gemeinde grosse Kosten verursachten, wurden 1851 und 1854 separate Rechnungen geführt. 


 

 

 

 

Eine Liste nennt die im Jahr 1851

nach Amerika ausgewanderten Wittnauer:

 

Erstlich:   Petrus Lichti               & Familli

         2:   Johan Businger          "       " 

         3:   Jos:  Lichti                  "       " 

         4:   Christian Hochrüter    "       " 

         5:   Georg Ignatz Herzog  "       " 

         6:   Nigklaus Brogli           "       " 

         7:   Maria Anna Hochrüter  & 3 Kinder.

         8:   Blasius Hochrüter

         9:   Klementz Businger

       10:   Die Frau & Kind des Hironimus

                                                              Fricker

       11:   Anna Maria Husner

 

GA Wittnau 564.1:1; p.1
GA Wittnau 564.1:1; p.1


«Rechnung über die Hinterlassenschaft          

  der nach Amerika Ausgewanderten

  pro 1854»

GA Wittnau 564.1:2
GA Wittnau 564.1:2

 

 

 

Dieses Dossier im Gemeindearchiv beinhaltet unter anderem Reiseverträge, alte Schuldscheine und Abrechnungen von Zwangsversteigerungen.


Vertrag der Agentur Gebr. Oswald, Basel, mit der Familie Martin Fricker aus Wittnau.  Mit dabei war auch der wenige Wochen alte Säugling Josef Anton.
Vertrag der Agentur Gebr. Oswald, Basel, mit der Familie Martin Fricker aus Wittnau. Mit dabei war auch der wenige Wochen alte Säugling Josef Anton.
Dick im Geschäft war eine Zeit lang auch der Sissler Adlerwirt Joseph Rufli. Dieser  Reisevertrag wurde von der Gemeinde Wittnau für "circa 14 Personen" abgeschlossen.
Dick im Geschäft war eine Zeit lang auch der Sissler Adlerwirt Joseph Rufli. Dieser Reisevertrag wurde von der Gemeinde Wittnau für "circa 14 Personen" abgeschlossen.

Oft sind wir über das Schicksal der Auswanderer nicht unterrichtet. Von Martin und Scholastika Fricker wissen wir aber, dass sie am 31. Mai 1855 in New York ankamen. Die fünfköpfige Familie wurde bei der Kontrolle auf Ellis Island als ankommende Passagiere des Schiffs "R L Gillchrest" registriert. 


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