Gemeinderatsprotokolle der Gemeinde Wittnau (1850)
Die Gemeinde Wittnau drängte um 1850 verarmte, unterstützungsbedürftige Familien zur Auswanderung nach Amerika.
Die gesamt Habe wurde versteigert, damit alte Schulden beglichen werden konnten. Für den Fehlbetrag und die Reisekosten kam die Gemeinde auf.
Mit dieser Politik löste die Gemeinde wahre "Armenschübe" aus. Diese Praxis belastete zwar eine gewisse Zeit lang die Gemeindefinanzen, zahlte sich aber im Endeffekt aus.
Ob die Auswanderungen nach Amerika für die Betroffenen am Ende ein Segen war oder sie ins endgültige Elend stürzte, können wir heute leider nicht beurteilen.
5. Es wird beschloßen die hiesigen Armen für welche die Gemeinde den Hauszins
zahlen, u. sonst unterstützen muß, auf Morgen vorzuladen, u. von den-
selben die Erklärung abzuverlangen, ob sie gesonnen wären nach Amerika
auszuwandern, wenn ihnen die Gemeinde die Transportkosten, u. noch etwas
Geld in die Hand in Amerika geben würde. es sollen vorgeladen werden:
1. Hieronimus Fricker, 2. Joh. Businger jung, 3. Jakob Hochrüter, 4. Leonz Businger,
5. Kolumban Schmid, 6. Jos. Schmid Becks, 7. Fidel Brogle, 8. Jakob Hochrüter,
9. Urs Fricker, 10. Anna Maria Hochrüter u. Kinder.
Joh. Rüetschi, Ammann
Blasius Schmid, Gd.rath
Mariz Lichte, Gd.Rath
Xav. Herzog, Gd.Rat
T. Fricker, Gmdschrbr.
Den verarmten Familien wurde nicht viel Zeit gelassen, sich für den Schritt ins Ungewisse zu entscheiden.
1. Es erscheinen vor Gemeinderath diejenigen, welche nach Amerika auswandern wollen,
u. erklären, 1. Kolumban Schmid Satlers Schneiders; das wenn ihm die Gemeinde für ihm
u. seine Familie die Transportkosten, u. 100 Fr. in Amerika auf die Hand gebe, er
auszuwandern willens sei, 2. ebenso Jos. Schmid Becks, Transportkosten u. Fr. 60.–
alle übrigen verlangen Bedenkzeit bis Samstag.
Gerade mal eine Woche Bedenkzeit gewährte man den "Auserkorenen".
Danach ging alles sehr schnell. Den Auswanderern blieben nicht einmal zwei Monate um Abschied zu nehmen. In dieser Zeit wurde der Hausrat vergantet und Grundstücke verkauft.
Am 12. August 1850 reisten rund zwei Dutzend Wittnauerinnen und Wittnauer ab, via Basel nach Le Havre, wo sie den Dreimaster "Noemie" bestiegen, der sie über den Atlantik nach Philadelphia brachte.
«Rechnung über die Auswanderer
nach Amerika aus der Gemeinde Wittnau
pro 1851»
Weil die Auswanderungen der Gemeinde grosse Kosten verursachten, wurden 1851 und 1854 separate Rechnungen geführt.
Eine Liste nennt die im Jahr 1851
nach Amerika ausgewanderten Wittnauer:
Erstlich: Petrus Lichti & Familli
2: Johan Businger " "
3: Jos: Lichti " "
4: Christian Hochrüter " "
5: Georg Ignatz Herzog " "
6: Nigklaus Brogli " "
7: Maria Anna Hochrüter & 3 Kinder.
8: Blasius Hochrüter
9: Klementz Businger
10: Die Frau & Kind des Hironimus
Fricker
11: Anna Maria Husner
«Rechnung über die Hinterlassenschaft
der nach Amerika Ausgewanderten
pro 1854»
Dieses Dossier im Gemeindearchiv beinhaltet unter anderem Reiseverträge, alte Schuldscheine und Abrechnungen von Zwangsversteigerungen.
Oft sind wir über das Schicksal der Auswanderer nicht unterrichtet. Von Martin und Scholastika Fricker wissen wir aber, dass sie am 31. Mai 1855 in New York ankamen. Die fünfköpfige Familie wurde bei der Kontrolle auf Ellis Island als ankommende Passagiere des Schiffs "R L Gillchrest" registriert.